Wir warten auf Sie!

Autorin: Anastasia Lotarewa

DIE STAATLICHEN UNTERSTÜTZUNGEN FÜR DIESE LEUTE WERDEN WENIGER UND WENIGER. MITARBEITER DER CARITAS IN BARNAUL BESUCHEN REGELMÄßIG BEHINDERTE, KRANKE UND BETTLÄGRIGE, SORGEN FÜR SIE, BRINGEN DAS VORBEI, WAS DRINGEND BENÖTIGT WIRD.

Der Korrespondent der Organisation „Takie Dela” begleitete diese Mitarbeiter in einige Häuser und sprach mit ihnen über die Kosten der Projekte und über die Situation in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten.

SIBIRISCHER STABILISATOR

Eine Stunde entfernt von Barnaul, befinden wir uns im Auto auf einer sehr glatten Straße, von Feldern mit vertrockneten, schwarzen Sonnenblumen umgeben. Ein starker Seitenwind macht dem Auto zu schaffen, aber Schwester Maria lebt nun mehr als 25 Jahre in Sibiren und kann das Wetter hier gut einschätzen. Im Dorf angekommen, setzten wir mit der Stoßstange auf und halten vor einem Haus, in dem die Hauskrankenpflege der Caritas tätig ist. „Der Schlüssel liegt unter dem dritten Stein” hört man eine klangvolle Männerstimme aus dem Inneren des Hauses. „Kommt rein! Kommt rein!” Über die selbstgebaute Rampe aus Zement, treten wir in das Haus ohne Barrieren ein. Der Hausherr Sergej Iwanowitch kommt  uns in seinem Rollstuhl entgegen.

„Haben Sie keine Angst, den Schlüssel draußen liegen zu lassen?” fragt Xenja, die Mitarbeiterin der Hauskrankenpflege: „Wer weiß, was passieren könnte.”

„Wissen Sie, mittlerweile habe ich vor gar nichts mehr Angst.”, lächelt Sergej.

1990 war er tauchen und brach sich den Halswirbel. Bis dahin hatte er eine Biographie, wie jeder andere sie in Russland haben könnte. Die Kindheit im Dorf, dann die Armee, Heirat, einen Sohn. Nach dem Unfall ein Jahr lang, in dem er sich nicht bewegen konnte, erst im Krankenhaus, dann Zuhause.

„Mein Vater sagte zu mir „Jetzt reicht es!”, erinnert sich Sergej, „ich selber wollte nichts unternehmen, stagnierte, er und mein Bruder holten mich aber einfach aus dem Bett und setzten mich auf ein Brett.”

„Wie stellten sie das an?”

„Sie nagelten ein Regal auf ein herkömmliches Brett, auf dem ich meine Füße stellen konnte, und richteten mich so auf. Ein „sibirischer Stabilisator” schmunzelte Sergej.

Sergejs Frau Ludmilla tritt ein. „Als es passierte sagte ich zu ihr, pack deine Sachen, nehme unseren Sohn mit, verlasse mich und lebe.” , erzählt Sergej.  Ludmilla lächelt sanft. Neben Sergej kümmert sie sich um ihre alte Mutter und um den Gemüsegarten.

Sergejs Hände sind ganz verdreht und können nicht mehr wie früher bewegt werden. Der Antrag für das individuelle Rehabitilationsprogramm (IRP) und einen elektrischen Rollstuhl wurde abgelehnt und so muss er erst mal mit dem einfachen Rollstuhl klarkommen. Aber er trainiert: Die aufwendigen Schnitzereien im Türrahmen sind daher mehr als nur Dekoration.

Sergej zeigt uns Fotografien, auf denen er mit seinem Freund trotz des Rollstuhlsangelt. Wie er Motorrad fährt und dabei in einem speziell, für ihn angefertigten Wagen sitzt, wie er mit einem Freund auf dem Platz sitzt, wo die zukünftige Kirche errichtet werden soll.

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Sergej und die Mitarbeiter der Hauskrankenpflege Xenja und Paulina.

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Sergej

Sergejs Sohn ist hat die Caritas konsultiert, um sich Hilfe im Umgang mit seinem Vater und seiner Eingeschränktheit zu holen. Im Keller des Gebäudes, in dem die Räumlichkeiten der Hauskrankenpflege untergebracht sind, gibt es eine Art Fitnessraum. Dort steht auch ein spezielles Pflegebett, mit dem es bewegungsbeschränkten Personen möglich gemacht wird, besser aufzustehen, sich im Bett bequem zu waschen und die Liegepositionen zu wechseln, damit keine Druckstellen entstehen. Die Schwester übt dort mit den Patienten das richtige Aufstehen, Umlagern, das Wechseln des Bettbezuges und das Wechseln der eigenen Kleidung. All die kleinen Dinge eben, an die man nicht denkt und die weitestgehend automatisiert sind, wenn man sich uneingeschränkt bewegen kann und gesund ist. Dieses Bett hat der Sohn von der Caritas gemietet und Paulina und Xenja sind nun bei Sergej zu Besuch, um sich anzuschauen, ob und wie das Bett benutzt wird und inwieweit Sergej damit geholfen wird.

Sergej fährt mit seinem Rollstuhl auf das Bett zu und führt uns mit sichtlichem Vergnügen vor, wie er auf einen Knopf drückt und das Kopfteil des Bettes hoch und runter gefahren wird, zeigt uns die bequemste Position zum Schlafen und wie er die Position wechseln kann.

Auf dem Bett und auf dem Sofa liegen Mülltüten, da es schwierig ist, die Position zu wechseln, helfen die Tüten mit ihren glatten Oberflächen, sich zu wenden und zu drehen.

„Ich wusste, dass es solche Schwierigkeiten geben wird,” erzählt Paulina und holt spezielle Bettlaken mit einer glatten Oberfläche aus ihrer Tasche, um die behelfsmäßigen Mülltüten gegen sie auszutauschen.

Ob man so ein Bett mit samt dem Zubehör bei dem staatlichen individuellen Rehabilitationsprogramm beantragen kann? Laut Gesetz ist es möglich, doch meistens bekommt man von diesem Programm nur eine Summe Geld, mit der man nicht einmal die Hälfte der benötigten Hilfsmittel decken kann.

ES KANN NUR EINEN WEG GEBEN

„Als ich klein war, haben mir alle gesagt, wie schnell ich von Begriff bin. So schnell, so schlau, sagte mein Vater immer, alles was sie anfasst gelingt. Später habe ich als Buchhalterin in einer Zuckerfabrik gearbeitet und mein Chef konnte nichts an meiner Arbeit aussetzten. Mit niemanden hatte ich Probleme, meine Eltern mussten uns nie mit unseren vollen Namen ansprechen, um uns zur Ordnung zu rufen, nur mit unseren Kosenamen.”

Im Oktober wird Alexandra Jewgrafewnia 92 Jahre alt. Ihre fast blinden Augen verfolgen den Verlauf der Schatten der Bäume, der sich auf der Gardine abzeichnet. Mit ihren langen, schönen Fingern ordnet sie ihre Bettdecke, zupft sie hier und dort zurecht, zehn, hundert Mal am Tag. Paulina setzt sich fröhlich zu ihr ans Bett und fordert sie auf: „Also Alexandra Jewgrafewnia, erzählen Sie, wie sie Autofahren lernten.”

Doch Alexandras Vergangenheit ist für sie wie von dichtem Nebel umhüllt. Sie erinnert sich nicht, wie sie ihren zweiten Mann kennengelernt hat, manchmal erkennt sie ihre Tochter Vera nicht mehr, welche sie seit einem Jahr pflegt. Doch je weiter sie in die Vergangenheit zurück geht, desto deutlicher werden ihre Erinnerung, sie kann von ihrer Kindheit erzählen, davon, wie sie anfing zu arbeiten, wie sie das erste Mal ihr ältestes Kind fütterte.

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Alexandra Jewgrafiewnia

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Karton „Mamas Beerdigung”

In ihrem Haus funktioniert noch alles. Die Böden sind gewischt, die Bettwäsche ist sauber, an ihrem Nachthemd hat Vera ein Taschentuch festgeheftet, so dass ihre Mutter immer eins in der Nähe hat. Im Laufe der Jahre, hat sich eine Routine eingestellt: Füttern, Umsetzten, Waschen, Zuhören, Antworten. Am speziellen Pflegebett, welches die Caritas der alten Dame vor einigen Jahren zu Verfügung stellte, wurde schon einiges geändert und angepasst. Kurz nach dem die Erkrankung und die Bettlägerigkeit ihrer Mutter anfing, bekam ihre Tochter nämlich sofort Probleme mit dem Rücken. Selbst einfache Bewegungen und Hilfestellungen für ihre Mutter, bereiteten ihr starke Schmerzen und alles dauerte sehr lange und konnte nur schwerfällig durchgeführt werden.

Jetzt aber kann Vera ihre Mutter blitzschnell ankleiden, umkleiden, waschen, umsetzten. Bevor Vera 2013 die Caritas kontaktierte, wusste sie nicht, wie sie ihre Mutter pflegen, wie sie mit ihr umgehen solle.

Nach dem Alexandra Jewgrafiewnia nach einem Krankenhausbesuch stolperte und fiel, war Vera vollkommen überfordert und wusste nicht, wie sie reagieren solle. Panisch rief sie eine Krankenschwester der Hauskrankenpflege mitten in der Nacht an: „Ich kann sie nicht stützen, ihr nicht aufhelfen, ich kann gar nichts, was soll ich nur machen, wie soll es mit uns weitergehen?”

Im Krankenhaus meinten die Ärzte, man müsse sich nicht besonders um die alte Frau kümmern. „Was wollen Sie? Für eine 87 jährige Großmutter geht der Weg nur in eine Richtung.” Diesen Weg kann man jedoch auf verschieden Weisen bewältigen. Man kann den Weg des strengen Geruches wählen, bei dem man seine Angehörigen einfach liegen lässt und möglichst wenig beachtet, den Weg der gebrochenen Knochen, bei den man die Patienten einfach irgendwie umsetzt und umlagert, ohne auf den fragiler werdenden Knochenbau zu achten. Und man kann den Weg gehen, den die Caritas unterstützt. Man kann sich wie Vera bei der Caritas Hilfe holen und lernen wie man seine Angehörigen liebevoll und stressfrei pflegt. So hat Vera bei der Caritas ein spezielles Pflegebett gemietet und die Schwestern haben sie in der Pflege ihrer Mutter unterwiesen und kommen regelmäßig vorbei. Wenn Vera zum Beispiel mal unterwegs ist, wird sie durch die Hilfe der Caritas entlastet und sie kann mit ruhigem Gewissen ihre eigenen Dinge erledigen.

„Mit niemanden hatte ich Probleme, meine Eltern mussten uns nie mit unseren vollen Namen ansprechen, um uns zur Ordnung zu rufen, nur mit unseren Kosenamen.”

„Mama du musst es Paulina nicht noch das fünfte Mal erzählen.”, sagt Vera laut und streng und zupft die Bettdecke ihrer Mutter zurecht.

Paulina lächelt, und fragt sanft zum Zweiten Mal: „Alexandra, wie haben Sie Auto fahren gelernt?”

Als wir uns dann aufmachten zu gehen, weinte Alexandra Jewgrafiewnia schrecklich. „Das Problem bestand darin, dass wir alle gleichzeitig, als Kollektiv gehen wollten,” erklärt uns nachher Xenja, „so fängt sie an zu weinen und es wird dauern, bis sie sich wieder beruhigt. Normalerweise, warten wir, bis sie eingeschlafen ist, oder gerade am Träumen ist und uns nicht mehr wahrnimmt und gehen erst dann.” Eine halbe Stunde haben wir mit Paulina am Hauseingang auf Xenja gewartet, die die Großmutter noch beruhigt hat. Hierher wird die Hauskrankenpflege nächste Woche wieder kommen.

„DAFÜR GIBT MIR GOTT DIE KRAFT”

„Es ist offen, es ist offen, ich bin gerade am Geschirr spülen.” ruft Valentina Alexandrowna von der Küche her. Im letzten Jahr feierte sie ihren 90. Geburtstag. Ich dachte die Krankenhauspflege der Caritas ist wegen ihr hier, doch Valentina Alexandrowna (Baba Walja) führt uns flink durch das Haus, bietet uns Stühle an und setzt sich selbst neben ihre Tochter Olga. Zu ihr kommt die Hauskrankenpflege nun im achten Jahr. Olga hatte einen Gehirntumor, der ihr erfolgreich entfernt wurde, doch seit der Operation kann sie nicht mehr richtig gehen.

Baba Walja macht alles selber, sie sorgt sich nur darum, was nach ihrem Tod passiert, oder wenn sie plötzlich erkrankt. Wer wird sich dann um ihre Olenka kümmern? Olga seufzt schwer:

„Mama eigentlich müsste ich mich um dich kümmern, aber so machst du alles für mich.”

„Aber du bist doch meine Tochter und wenn du nicht richtig laufen kannst und ich schon, dann kümmer ich mich um dich.” sagte Valentina und streichelte ihr zärtlich über die Schulter. „Dafür gibt Gott mir Kraft und gute Menschen die uns helfen.”

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Valentina Alexandrowna

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Valentina Alexandrowna und ihre Tochter Olga Wasilewna

Xenja und Paulina kommen, um Olga dabei zu helfen, sich zu waschen. Baba Walja kann sehr vieles, eigentlich alles alleine bewältigen, aber ohne die Hilfe der Caritas, wären die beiden jetzt ohne fließendes Wasser, erzählt Paulina, und hilft Olga aus der Badewanne.

„Bitte machen Sie keine Fotos so von mir.” sagt Olga schüchtern.

„Nein fotografieren Sie uns ruhig”, lacht Valentina, „mit ein paar Nacktfotos finden wir schnell tüchtige Herren”, scherzt sie.

Bevor Paulina und Xenja gehen, fragt Baba Walja sie noch nach ihren Kindern und ihrer Familie.

„Gott sei mit Euch ihr Lieben!” ruft sie noch aus der Tür, „Wir warten auf Sie!”

220 Projekte

140 Ausgaben von Pflegehilfsmittel

6015 individuelle Konsultationen

9 ausgebildete Sozialarbeiter

Diese Statistik bezieht sich nur auf die Hauskrankenpflege der Caritas Barnaul 2016. Es gibt das Projekt der Hauskrankenpflege noch in Ischim, Omsk, St. Petersburg, Saratow, Wolgograd, Tscheljabinsk, Novosibirsk und Marx. Seit 12 Jahren besuchen Mitarbeiter wie Paulina und Xenja Menschen, die krank oder alt sind und weiterhin von ihren Angehörigen gepflegt werden, um in Würde sowie im Kreise der Familie altern, bzw. leben zu können. Sie geben ihnen Hoffnung und unterstützen sie in allen Lebenslagen. Sie weisen die Angehörigen in die Pflege ein, helfen bei der Beschaffung von Pflegeprodukten, Nahrungsmitteln, Dingen wie Pflegebetten, Rollstühle, Rollator. Sie packen selbst bei der Pflege an, helfen beim Umsetzten, Umziehen, Waschen, Füttern.

Wie teuer diese Arbeit ist? Für den Staat ist sie offensichtlich zu teuer. Der Staat ist der Meinung, es sei genug, ein Paar Medikamente und die Visite beim Arzt zu zahlen und den Menschen dann sich selbst zu überlassen. Wenn Mitarbeiter der Caritas beim Amt für Soziale Hilfe beispielsweise mal wieder auf eine eigentlich gesetzlich zustehende Sozialleistung drängen, müssen sie sich dort Dinge wie: Der Staat ist kein großes Armenhaus” anhören und werden abgewimmelt.

Ein Jahr Arbeit der zehn Hauskrankenpflegeprojekte in allen russischen Städten, kostet um die 8 Millionen Rubel, ca. 135 000 Euro und ein Tag der Arbeit in den Zentren kostet ca. 831 Rubel, 13,70 Euro. Das ist eine kleine Summe, die einmal im Monat von Ihnen überwiesen, Olga und Valentina, Vera und ihrer Mutter und auch Sergej helfen wird und sie weiterhin von der Caritas Unterstützung bekommen. Denn durch diese Arbeit, wissen Tag für Tag hunderte Menschen, es gibt Menschen, die kommen werden, die bei ihnen sind und ihnen durch diese schwierigen Zeiten begleiten und immer ein offenes Ohr für ihre Probleme haben. Sie warten sie – und sie werden kommen.

Liebe Freunde liebe Spender!

Wenn Sie die Arbeit der Caritas in Westsibirien unterstuetzen wollen koennen sie die Bankverbindung des befreundeten Fondes in Deutschland benutzen.

Unsere Partnerorganisation, die Armen-Schwestern vom hl. Franziskus, stellen Ihnen gern eine Spendenbescheinigung für das Finanzamt aus, wenn Sie auf der Überweisung Ihre vollständige Adresse angeben.


Spendenkonto

Name des Kontoinhabers: Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus Elisabethstraβe 19 52062 Aachen

IBAN: DE05 3706 0193 1008 2481 99

BIC: GENODED1PAX (Pax Bank)

Zahlungsziel: Sibirienhilfe